Vom Samen zum Segelflugzeug
Vom Samen zum Segelflugzeug
von Jürgen Daube, Nov. 2005
Handlungsrahmen:
Ein Kiefernsamen hört in seinem Zapfen während seines Reifungsprozesses, wie die Vögel im Baum von ihren Flügen erzählen. Er wird dadurch neugierig auf die Welt und hofft, auch einmal fliegen zu können.
An einem heißen Sommertag öffnet sich der Kiefernzapfen. Eine Thermikablösung schüttelt den Baum durch, das Samenkorn löst sich und wird nach oben getragen.
Auf dem anschließenden Flug bis in die Wolken erlebt das Samenkorn alle Schönheiten des Fliegens und ist voller Glück.
Nach der Landung beschließt das Samenkorn, alles daran zu setzen irgendwann einmal wieder zu fliegen. Im nächsten Frühjahr keimt der Samen und es entsteht eine kleine Kiefer, die immer nach oben zum Himmel schaut. Wenn ich schon nicht fliegen kann, dann will ich wenigstens groß werden und zum Himmel und den Wolken emporwachsen, nimmt sich die Kiefer vor.
Natürlich ist das ein langer Weg, der viele, viele Jahre dauert. Die Kiefer wächst langsam zwar aber stetig und wird dabei zu einem bestens geratenem Baum, also einer Musterkiefer. Unten ein gerader Stamm ohne Äste, oben eine ausladende Krone.
Der Baum genießt es, wenn jetzt die Vögel in seinen Zweigen ihre Geschichten von ihren Flugerlebnissen erzählen. Die Sehnsucht, es ihnen gleichzutun bleibt.
Nach langer Zeit und während die Menschen diesen Baum ob seines Wuchses bewunderten, speziell der Forstbeamte, der für den Wald zuständig war, kommt der Zeitpunkt, daß der Baum gefällt werden muß, um das Holz zu verkaufen.
An einem Wintertag wird die Kiefer geschlagen und entrindet. Ein Pferdegespann bringt den Stamm mit anderen ins Sägewerk. Beim Abladen entdeckt der Platzmeister diesen, unseren Stamm und beschließt, daß daraus etwas besonderes werden soll. Mit besonderer Aufmerksamkeit wird dann der Stamm ins Gatter gelegt und in Bretter gesägt. Die Sägeleute erkennen die Astreinheit des Holzes, seine Gradwüchsigkeit und seine engen Jahresringe. Der gesägte Stamm bekommt einen speziellen Platz zum Trocknen. Dieser Lagerplatz befindet sich in Polen. Polen ist damit die Heimat unserer Kiefer.
Weit entfernt davon lebt ein Segelflugzeug-Konstrukteur in Deutschland. Seit den Anfängen des Segelfluges, die er als Junge miterlebt hat, weil er in der Rhön aufwuchs, war er diesem Sport auf das engste verbunden. Er hatte, als er alt genug war, selbst das Segelfliegen erlernt und nach seiner Schulzeit ein Ingenieurstudium, Fachrichtung Flugzeugbau absolviert.
Etliche Konstruktionen hatte er schon zu Papier und auch zum Fliegen gebracht. Zufrieden war er nie. Das nächste Flugzeug sollt immer noch besser sein. Die technische Entwicklung im Segelflugzeugbau war durch den 2. Weltkrieg auf einem hohen Niveau zum Stillstand gekommen. Aber schon vor 1952, dem Jahr als der Segelflug wieder in Deutschland zugelassen wurde, hatte unser Konstrukteur begonnen, wieder Entwürfe für neue Segelflugzeuge zu zeichnen. Der Plan, ein ganz besonderes, leistungsfähiges und formschönes Flugzeug zu entwerfen und zu bauen, begann in seinem Kopf Gestalt anzunehmen. Alle Erfahrungen, die neuesten Erkenntnisse der Profilforschung sollten in seinem Flugzeug, einem Leistungseinsitzer, vereinigt werden.
Die Pläne wurden fertig und der Besuch bei einer kleinen Segelflugzeugbaufirma ein voller Erfolg. Es wurde beschlossen, dieses Segelflugzeug zu bauen.
Die technischen Vorbereitungen zum Bau ergaben, daß nur hochwertiges Material eingesetzt werden durfte, um die Planvorgaben zu erfüllen. Ein Gespräch mit dem Holzhändler wurde fällig. Dieser ließ seine alten Verbindungen spielen und nahm Kontakt zu seinem polnischen Freund auf, der ihm schon oft geholfen hatte, wenn es um polnische Kiefer für den Segelflugzeugbau ging.
Der Freund setzte sich ins Auto und klapperte verschiedene einschlägige Sägewerke ab.
Überall trug er seine Forderungen hinsichtlich der Eigenschaften vor und endlich fand er den Stamm, den wir schon länger kennen. Mit seinem ‘Holzauge’ erkannte er die Einmaligkeit des Kiefernstammes und war auch bereit erheblich mehr dafür zu bezahlen.
Noch wußte das Holz nicht, was mit ihm geschehen würde, als es auf einem LKW verladen wurde, der ihn mit anderen Stämmen Richtung Westen fuhr. In Poppenhausen, einem kleinen Rhönort nahe der Wasserkuppe war Endstation. Als Brett für Brett des besagten Stammes abgeladen wurden, strichen die alten Holzflugzeugbauer andächtig und ehrfurchtsvoll über das Holz. So etwas Schönes hatten sie lange nicht mehr gesehen.
Nacheinander entstehen jetzt die einzelnen Bauteile in klassischer Holzbauweise. Im Einzelnen wird der Herstellungsprozess eines Holz-Segelflugzeuges beschrieben. Die Tragflächen werden bespannt und das ganze Flugzeug lackiert. Der Tag des ersten Fluges naht. Weil man noch nicht weiß, wie es fliegen wird und andere Startmöglichkeiten nicht bestehen, wird beschlossen, das Flugzeug mit dem Gummiseil wie früher zu starten. Dazu zieht man auf die Wasserkuppe. Der erste Start gerät gleich zu einem längeren Hangsegelflug. Der Pilot schwärmt anschließend von den Flugeigenschaften dieser Neukonstruktion.
Als sich das Segelflugzeug in die Luft erhebt, wird der Geist der Kiefer wieder wach und erlebt den Flug als Erfüllung all seiner Träume. Endlich kann das Holz im Flugzeug es den Vögeln gleichtun.
Im weiteren Verlauf wird beschlossen, dieses Flugzeug bei der nächsten Deutschen Segelflugmeisterschaft einzusetzen. Dazu wird ein passender und fähiger Pilot gesucht und gefunden. Dieser merkt sehr schnell, daß das Segelflugzeug, welches er fliegen darf, ein großer Wurf geworden ist. Er erspürt das besondere darin. Er fühlt sich mit dem Flugzeug verwachsen. Noch nie hat er ein Flugzeug geflogen, welches so leicht zu fliegen war und so schnell reagierte.
Das Thermikfliegen überland wird vorgestellt und mit mehreren Flügen beschrieben.
Die Meisterschaft endet mit einem Sieg. Größere Leistungen im Streckensegelflug folgen. An der nächsten Weltmeisterschaft wird teilgenommen und auch hier liegt unser Segelflugzeug ganz vorn. Viele Flugzeuge des Typs werden davon gebaut.
In der Folgezeit wird es etwas ruhiger um das Segelflugzeug. Es ist an einen Segelflugverein in Norddeutschlang verkauft worden. Dort dürfen aber nur die Leistungsflieger damit fliegen. Es kommt auch zu einem Landeunfall, Ringelpiez mit abgebrochener Rumpfröhre. Die Reparatur geschieht im Verein. Das Flugzeug wird verkauft nach Bayern und fliegt ab da in den Bergen. Beschreibung des Alpensegelfluges. Kunststoffsegelflugzeuge werden langsam aber sicher mehr und mehr. Das Segelflugzeug, welches früher nur den ganz großen Piloten vorbehalten war, wird immer mehr zum ersten Übungsflugzeug von Flugschülern, nachdem sie ihren ersten Alleinflug hinter sich gebracht haben. Aber auch mit den ungeübteren Fliegern geht unser Segelflugzeug sanft um, da es keine fliegerischen Unarten besitzt.
Ein junger Segelflieger erfliegt sich seine Silber-C und hat im Streckensegelflug viel Erfolg. Der Verein, bei dem unser Segelflugzeug jetzt ist, ist ziemlich hinter der Zeit zurück. Gegen viele Widerstände setzt sich aber der junge Segelflieger durch und fliegt größere Strecken mit dem alten Holzflugzeug, 300, 400 und 500 km und mehr, als manch anderer mit seiner hochmodernen und bestausgerüsteten Superorchidee.
Das Flugzeug erlebt seinen zweiten Frühling und ist inzwischen gut 25 Jahre alt geworden. An einer Junioren-Europameisterschaft in Schweden wird teilgenommen.
Nach mehreren Verkäufen an Segelflieger, die das Flugzeug privat halten und dabei bestens überholt haben, daß es einem Neubau gleicht, aber leider um den Preis, daß es nicht mehr viel fliegt, meistens nur bei sehr schönem Wetter und dann nur am Platz, wird entdeckt, daß es sich ja um das allererste Baumuster dieses Typs handelt. Ein Studium der vielen Bordbücher erschließt dem doch erstaunten Besitzer die ruhmvolle und erfolgreiche Geschichte. Eine Kontaktaufnahme mit dem Hersteller, der seit langem auf Kunststoff-Segelflugzeuge umgestiegen ist, kommt zu dem Ergebnis, daß unser Flugzeug mehr verdient hat, als irgendwo in der Ecke einer Flugzeughalle zu verstauben.
Es wird gekauft, restauriert und von allem Schnickschnack befreit, der sich angesammelt hat. Die gesamte Firma ist auf der Wasserkuppe versammelt als das Flugzeug den allerletzten Start machen soll. Es muß schon der erfahrenste und beste Segelflieger sein, der die Ehre dazu hat, das Flugzeug im Schlepp eines Motorflugzeuges fliegen zu dürfen. Dieser Flug bei ruhiger Luft und bester Sicht wird von Segelflieger und Flugzeug gemeinsam genossen. Bei beiden werden viele Erinnerungen an vergangene Zeiten wach.
Nach der Landung wird das Segelflugzeug feierlich dem Leiter des Segelflugmuseums übergeben. Es bekommt einen Ehrenplatz in der neuerbauten Ausstellungshalle. Dort kommt es nun zur Ruhe. Der Traum vom Fliegen, den es als Baum so lange träumte, hat sich mehr als erfüllt.