Segelfliegen macht nicht dick!
Segelfliegen macht nicht dick!
von Jürgen Daube, Braunschweig, 2000
Im heutigen Vortrag soll untersucht werden, in welchem Zusammenhang die tägliche Nahrungsaufnahme mit dem Segelflug steht. Kann Segelflug nur als geistige Nahrung oder sogar als körperliche Nahrung angesehen werden. Dass dieses Thema sehr ergiebig ist, möchte ich Euch gern beweisen.
Wen der Segelflug erst einmal gepackt hat, braucht diesen wie die tägliche Nahrung. Ich glaube im Namen aller zu sprechen, wenn ich behaupte, dass Segelfliegen wie Brot essen ist, das wird einem nie über, daran verliert man den Appetit niemals. Auf jeden Fall ergeben sich viele Parallelen und Auffälligkeiten, auch Besonderheiten wenn das ganze Spektrum des Essens oder Fliegens näher betrachtet wird,
Leider kann ich vereinfachend nicht voranstellen: „Sage mir was und wie du isst und ich sage dir, wie du fliegst. Das ergäbe zwar in manchen Fällen ein deckendes Verhalten, ist aber wegen seiner Pauschalität als These nicht seriös genug.
Genug der Vorrede. In jedem Winterhalbjahr ergeben sich, wie wir alle wissen, bei den Segelfliegern/innen typische Mangelerscheinungen, die auf die Unterernährung mangels Segelflug zurückzuführen ist. Nur durch ständige Beschäftigung mit dem Thema in Form von Nachbereitung (Auswertung der Logger gespeicherten Flüge) geflogener Strecken oder sogar Vorbereitung neuer Aufgaben, fliegen mit und am PC halten den Segelflugspiegel hoch genug, um sich über den Winter zu retten. Ihr wisst selbst am besten, was euch schmeckt und welches Ersatzmittel (Surrogat) bei Euch individuell am besten sättigend wirkt. Zum Beispiel kann dem Segelflug-Bildkalender durchaus die Wirkung eines Appetizers zugesprochen werden.
Die Beschäftigung mit Werkstattarbeiten scheint dagegen den Appetit eher zu mindern und wird daher gemieden, soweit das möglich ist.
Vor etlichen Jahren hat Wolfgang Hoffschläger in unserem Verein das sich ergebende Defizit erkannt und an Bauabenden richtig gekocht, um die Mannschaft in die Werkstatt zu locken. Der Erfolg gab ihm recht. Das Essen war gut und die Beteiligung daran groß - am Essen. Die kamen dann alle wegen des Essens und nicht wegen der Arbeit. Der Versuch musste als untauglich abgebrochen werden.
Überlegt einmal selbst, was sind diese Appetitzügler, die die Winterarbeit so nachhaltig beeinträchtigen? Früher könnten es Holzstaub und Nitrodünste gewesen sein. Schleifstaub von Kunststoffflugzeugen oder Epoxin/Laromingeruch sind scheinbar von gleicher Wirkung. Von den äußeren Einflüssen möchte ich erst gar nicht reden. Es ist aber erwiesen, dass jüngere weibliche Mitglieder in der Werkstatt als sehr appetitanregend wirken können und die Gesamtbeteiligung dadurch wesentlich gesteigert werden kann.
Bei wem der Hunger zu groß wird, der weicht im Winter auf fettere Weiden in Richtung südliche Halbkugel unserer Erde aus. Wie alle Extravaganzen leiblicher Genüsse, muss diese Ausländische Küche dann auch fürstlich bezahlt werden.
Andere zieht es, wie ich im Aero-Kurier gelesen habe, im kältesten Winter nach Nordschweden, um dort auf einem zugefrorenen See zu fliegen, wo die Übrigen lieber hier hinter dem warmen Ofen sitzen. Aber wir lernen daraus und wissen:
Hunger kann eben weh tun und zu sonst unbegreiflichen Handlungen führen.
Bei uns muß die Sonne nur einige Grade höher steigen, da machen sich die Freunde der französischen Küche auf den Weg. In den Seealpen wird eine reichhaltige Speisenkarte angeboten. Für Jede und Jeden ist bestimmt etwas dabei. Als Amuse Gueule ein Hangflug am Gache, als Hauptgang einen Flug längs am Parcour oder ein Einstieg in die Welle.
Ich bin mit nicht ganz im Klaren, ob hauptsächlich der Vielflieger, also der Gourmand, nach Frankreich fährt oder der Feinschmecker, der Gourmet. Traurig aber wahr bei uns Segelfliegern: Viel geht immer vor, leider oft bis zur Völlerei, wenn genug da ist. Das eigenartige dabei ist, dass das Fliegen in, an und über den französischen Bergen Schönheiten bereit hält, die mehr ausgekostet oder genossen werden sollten.
Die wahren Genießer fahren erst später nach Frankreich und wer kann und möchte, lässt sich die Filetstücke vom Spitzenkoch Maitre Ohlmann anrichten. Hier zeigt sich der wahre Geschmack.
Mir scheint, es gibt eine gute Entsprechung zu der Manie um den ersten Beaujolais primeur. Eine wilde Jagd fast, danach der erste zu sein, den Wein ausschenken zu können. Ebenso eine wilde Jagd nach Frankreich ab Anfang Januar.
Bei uns in Deutschland gibt es die beste Thermik in der Zeit von April bis Juli. Wir „Otto Normalverbraucher“ kriegen gerade soviel, dass wir eigentlich gut satt werden. Südlich der Mainlinie gab und gibt es schon immer mehr auf den Teller, was uns Norddeutsche aber nicht zu dem Schluss verleiten darf, zu glauben, dass die dort unten besser essen sprich fliegen könnten. Aus wenig viel machen können war schon immer eine Tugend einer rechten deutschen Hausfrau. Das gilt also auch für uns Niedersachsen ganz speziell.
Segelfliegen ist wie Essen in großer Runde. Gemeinsam schmeckt es einfach besser. Die einfachen Benimmregeln gelten hier wie da. Gemeinsam wird angefangen und gemeinsam aufgehört. So wie man am Tisch nicht mit ausgefahrenen Ellenbogen dasitzt, fliegt man auch nicht in den Bart hinein, an dem sich schon andere bedienen.
Wer nicht mit am großen Tisch sitzen will, muß sich schon einen eigenstartfähigen Motorsegler halten. Macht allein essen am Katzentisch wirklich Spaß Können wir diese Motorsegelflieger als Einzelgänger bezeichnen, die nicht unbedingt das Essen wollen, was auf den Tisch kommt? Kraft ihres Motors setzt ihnen die Thermik nicht den Schlusspunkt. Ich glaube, dieser Typ Pilot will immer etwas Besseres bestellen und zum Nachtisch auf jeden Fall schon wieder zu Hause sein.
Unser gewohntes Streckenfliegen gleicht immer einer Wochenkarte des Speisenangebotes. Mal Schweinebraten, mal Schmalhans Küchenmeister. Oft können wir auch beobachten, dass in der Auswahl der Strecken die gleichen Verhaltensweisen gelten wie beim Essen. Sagt man nicht: „Seine Augen waren größer als sein Magen?“ Abends zeigt es sich, wer in kluger Abschätzung der angebotenen Kalorien die richtige und passende Portion auf den Teller geladen hatte.
Sind nun die guten Esser unterwegs, putzt meist ein altgedienter Kompaniekoch das junge Gemüse und zeigt, wie und wo Anfänger am besten in der Thermiksuppe herumrührt. Merke: Tage mit kräftiger und klarer Bouillon sind besser als solche mit Milchsuppe. Oder: In hohen Töpfen läßt es sich besser abkochen als in flachen Pfannen. Falls das zu schwer zu verstehen ist, damit meine ich die Basishöhe.
Apropo Pfannen: Kurzgebratenes gibt es nur auf Meisterschaften, wenn 200 km ausgeschrieben wurden, die Vorräte aber für 500 km Masse gereicht hätten.
Sprach ich vorhin etwas abfällig über die Vielesser, so muss ich jetzt eine Lanze für diese brechen. Mit dem Essen, auch so ein Sprichwort, wächst bekanntlich der Appetit. Und so sind im Laufe der Jahre eben auch unsere Ansprüche gewachsen, ebenso wie das Fluggerät ja auch. Kaum haben wir uns an die Zahl 1000 als etwas alltägliches gewöhnt wie auch daran, dass eine klitzekleine Kugel Eis 1,00 DM kostet und jeder Leistungsesser überlegt, wann er sich das also die 1000 km und nicht die Kugel Eis, mal gönnen kann, da kommt aus Südamerika die Nachricht, dass dort noch größere Strecken an den Anden möglich sind. Na ja, in Argentinien haben sie ja auch viel viel größere und vor allem bessere Steaks.
Um den Vortrag ein wenig aufzulockern, möchte ich an dieser Stelle einige Wortbetrachtungen einstreuen, die mir so eingefallen sind
Die Platzrunde ist wie ein Schokoriegel. Sie stillt nicht den Hunger, macht aber Appetit. Eine Platzrunde bei völlig ruhiger Luft ist dagegen Schonkost.
Diät: Wer seinen Schein auf Sparflamme erhält, leidet bestimmt an Mangelerscheinungen. Dieses kann zu Scheinverlust führen und die
Magersüchtigen bringen sich damit selbst um
Ein besonderes Problem ist die Bulimie, die Ess-Brechsucht. Bedauernswerte Kreaturen, ich kann das beurteilen, weil ich selbst dazu gehöre, aber ganz schön hartnäckig.
Fast-food: Tornadofliegen bei der Bundeswehr
Slow food: Gleitschirmfliegen
Blähbauch: Ballonfahrer. Können sich wegen ihres Volumens auch nur langsam bewegen und entledigen sich ihrer angesammelten Warmluft in einem langen Furz bei der Landung.
Die landestypische Küche: also es gibt die Österreichische, Schweizer und Italienische Küche. Von der französischen habe ich schon gesprochen. Die Spanische Kost wird von vielen goutiert. Auch die Küche vom Balkan ist nicht zu verachten. Uli Gmelin hat versucht uns das giechische Gyros schmackhaft zu machen. Ich will mich einfach auf Europa beschränken. Habt ihr schon mal gehört, dass einer des Essens wegen nach England fährt? Na bitte! Zum Rest der Welt möchte ich nur bemerken, dass in Afrika, Amerika Australien und Neuseeland ebenfalls hervorragend gekocht wird.
Segelflug-Kunstflug: kommt mir vor wie Leute die gern japanisch essen und...............-Fisch mögen. Dieser Fisch hat die uangenehme Eigenschaft absolut tödlich zu sein, wenn er nicht richtig zubereitet wird. Und gerade dewswegen essen ihn die Leute. Leute gibt’s....
Hangflug ist wie jeden Tag Suppe essen (müssen).
Und Hangflug mit Welleneinfluss ist wie Suppe mit Würstchen.
Zwei habe ich noch: DMST ist Essen à la carte und zentrale Meisterschaften sind wie Gemeinschaftsverpflegung. Dabei kommt mir die folgende Gedankenkette in den Sinn:
Essen à la carte
Fliegen à la carte
Fliegen nach Karte - nach Karte? G-P-Ess! Dieser Imperativ fordert uns doch geradezu zum Essen auf, oder nicht?
So, und jetzt nehmen wir uns einmal einen normalen Streckensegelflug, z.B. ein 5ooer Dreieck vor und vergleichen diesen in der bisher angedachten Weise. Ähnlichkeiten mit einem besseren Menue fallen sehr schnell ins Auge.
Hat der Pilot oder die Pilotin sich entschlossen die Aufgabe zu wagen, ist er meistens etwas nervös oder auf jeden Fall angeregt und in geradezu festlicher Hochstimmung. Nach längerem Warten, wie es in einem Restaurant allgemein üblich ist, begibt er sich zu Tisch, d. h. er setzt sich in den Flieger und startet.
Hat er Glück, wird bald etwas Brot und Butter in Form des ersten Bärtchens serviert. In unserem angenommenen Fall fällt diese Portion wie immer nicht so üppig aus. Aber, dass es überhaupt schon mal etwas gibt, ist ja gut. Mühsam, wie in solchen Gesellschaften üblich, kommt das Gespräch in Gang, ebenso der weitere Verlauf.
Falls der Brotkorb doch etwas mehr enthält, nährt man sich von Scheibchen zu Scheibchen und wird dabei immer hungriger. Oft vergeht bei diesem Vorgeplänkel die Zeit schneller als einem lieb ist. Aber zum eigenen Trost ergeht es den anderen am Tisch nicht besser.
Endlich serviert die Bedienung die erste Vorspeise, wenig aber gut. In unserem Fall beginnt der Erste, der bedient wurde, unhöflicherweise auch gleich an zu essen, die nächsten folgen. Die Stimmung steigt merkbar und alle mit. Schon wird es am Tisch lebendig, im Funk auch. Alle reden gleichzeitig über alles mögliche. Nach der Suppe hält der erste seine Rede, aber das Warten auf das Hauptgericht wird dadurch nicht leichter. Alle sind zwar von der drohenden Landung am Platz befreit und nippen so ab und zu an ihren Gläsern.
Endlich naht in Form einer sich bildenden Cumuluswolke, weiß und zart wie gekochter Fisch, der erste Gang. Im weiteren Verlauf steigert sich das Menü über Geflügel und Braten, wird also immer kräftiger. Bald machen sich die ersten Sättigungstendenzen bemerkbar. Alle am Tisch sind froh, nicht mehr ständig essen zu müssen und überbrücken die Pausen dazwischen dankbar mit einem längeren Gleiten, um dann wieder tüchtig zulangen zu können.
Angenehm und leicht sind solche Essen, bei denen zwischendurch auf chinesisch umgeschaltet wird und vielleicht die „Sieben Köstlichkeiten“ serviert werden.
1. Ein Hammerbart
2. Eine Thermikaufreihung direkt auf Kurs
3. Eine ganze Strecke im Delphinstil
4. Eine Scherwelle ermöglicht seitliches Übersteigen der Wolke
5. Die Sicht verbessert sich, Marke von Pol zu Pol.
6. Die Basis klettert um weitere 500 m auf 2.500
7. Du hörst im Funk, dass es im Gebiet voraus super ist
Wenn einem also soviel Gutes wiederfährt, ist es bestimmt eine Erhöhung der Aufgabe wert. Aber, wie es so ist, bei soviel Angebot übernimmt sich einer leicht und er scheidet aus der Tischrunde aus
Das Essen klingt aus mit Dessert und Käse, also wieder weniger und in größeren Abständen. Die Fülle des Genossenen, halt hier kommt noch ein Gedanke spontan: Früher flogen in der DDR Genossen, jetzt wird das Fliegen über den neuen Bundesländern genossen. Also die Fülle des Genossenen zieht uns bedenklich nach unten. Aber, wir haben es ja in der Hand und können uns noch einmal erleichtern in Form von Wasserlassen. Schön ist es, wenn dann zum Abschluss noch ein Kaffee gereicht wird, an dem man sich aber lange festhalten muss und nur in ganz kleinen Schlucken trinkt. Der Dunst einer letzten Zigarette bringt uns die entscheidende Höhe für den Gleitflug zum Platz.
Satt und zufrieden kehrt man an den heimatlichen Platz zurück. Kaum hat der Pilot die Ausgehklamotten in den Schrank gehängt, was tut da der richtige Segelflieger?
Er haut sich das erste Bier des Tages rein und schielt auf den Grill, ob das Fleisch nicht endlich gar ist. Da werde einer schlau draus!
Abschließend muss ich mich noch damit befassen, wie der fliegerische Genuss denn nun wieder ausgeschieden wird. Ganz klar, was man in sich hineinstopft, muss man auch wieder loswerden. Nach längerem Überlegen bin ich zu dem Ergebnis gekommen, der Stuhlgang der Segelflieger ist das Reden und Erzählen über ihre Erlebnisse. Das kann bekanntlich lange dauern, oft länger als der das eigentliche Essen. Das ist gut so, weil irgendwie sich schon wieder so ein leichtes Hungergefühl meldet. Ist es nicht toll, immer wieder etwas zu sich nehmen zu müssen?
Wie kann die Zeit zwischen Ab- und Anfliegen auch bezeichnet werden?
Als Fastenzeit! Ich hoffe, ihr werdet sie auf die eine oder andere Art und Weise überstehen. Viel Glück dabei wünscht Euch
Jürgen Daube